Die jüngsten Entwicklungen haben gezeigt, dass die Einbindung von „digitalen Lern- und Lehrmethoden“ („digital learning and teaching“, DLT) im Hochschulbereich ein dringendes Erfordernis sind. Forschungsergebnisse weisen jedoch darauf hin, dass die Integration von DLT bisher nur sehr langsam voranschreitet und dass die aktuellen Lösungen den Anforderungen und Bedürfnissen der Hauptakteure nur unzureichend Rechnung tragen [1].

Viele Lehrende wurden zu Beginn der Pandemie, als Lehrveranstaltungen plötzlich auf den online-Modus umgestellt werden mussten, ins kalte Wasser geworfen. Jeder Einzelne musste sich, ungeachtet seiner diesbezüglichen Ansichten und Vorerfahrungen, auf die eine oder andere Form von online-Lehre einstellen. Um den betreffenden Akteur*innen auf den Zahn zu fühlen und erste Lehrerfahrungen unter Pandemie-Bedingungen zu eruieren, haben wird in den medizinischen Fakultäten von schweizerischen Hochschulen Interviews durchgeführt [2]. Die ersten Erfahrungsberichte waren ebenso interessant wie ermutigend und förderten auch neue Einsichten zutage:  

«Ich meine, wir haben jahrelang über digitales Lehren geredet, und nun wurde es plötzlich von uns verlangt. Das war doch nicht schlecht… Ich hoffe, dass uns künftig etwas davon erhalten bleiben wird.»

Der Zwang, neue Wege zu beschreiten, fördert auch neue Einsichten zutage:

«Es geht doch nicht einfach nur um das online-Thema. Es geht darum, welche Funktion Sie als Lehrende innehaben, und welche Rolle den Studierenden zukommt. Wie kann man Studierende zum Lernen bewegen? Sie brauchen Präsenz, sie brauchen Austausch, sie brauchen Diskussionen – alles das ist wichtig. Nun mussten wir online und offline diskutieren. Aber mir ist das egal, solange die Diskussion von Nutzen ist.»

Hier eröffnen sich neue Perspektiven für didaktische Reflexionen – und dabei geht es bei weitem nicht nur um das Problem der online-Lehre.

«Die Rolle des Lehrenden ist manchmal weit von ihrer eigentlichen Bestimmung entfernt. Ich denke, die Qualität der Lehre erweist sich eigentlich oft als unzureichend. Es steht hier nicht zur Debatte, ob online oder nicht online unterrichtet wird, sondern es geht um Interaktion, und Interaktion sollte eben nicht nur online stattfinden, sondern es sollte in jeder Situation angestrebt werden, interaktiver mit den Studenten zu arbeiten.

Studierende wollen mehr Flexibilität und mehr Eigenkontrolle beim Lernen (siehe z. Beisp. [3]). Studierende wollen ihre Lernzeit flexibel gestalten. Zu diesem Zweck benötigen sie Zugang zu online-Lernmaterialien. Die Studierenden haben unter der Pandemie mehr Eigenkontrolle über ihr Lernverhalten gewonnen, aber sie haben auch etwas sehr Wichtiges verloren, nämlich die soziale Interaktion mit ihren Mitstudierenden und Lehrenden. In der Forschungsliteratur wird berichtet, dass sich Studierende mit ihren Problemen allein gelassen fühlen [4]. Die limitierten Kontakte zu Mitstudierenden und Lehrenden behindern den Austausch in freien Lerngruppen, aber auch den spontanen Dialog mit Lektor*innen und Kliniklehrkräften. Online-Foren, schnelle Kommunikationskanäle, Chats und Videokonferenzen helfen dabei, diese Verbindungen aufrecht zu erhalten, sie sind aber kein Ersatz für die direkte Interaktion. Wenngleich diese Kanäle sehr hilfreich sind, haben wir doch alle selbst erlebt, dass die elektronische Kommunikation auch ihre Grenzen hat.

In der Lehre haben sich seit Beginn der Pandemie bis Ende 2020 bereits Veränderungen vollzogen. Vor allem wurde die anfangs unterbrochene klinische Lehre (z. Beisp. Bedside Teaching, Kommunikationstraining, Clinical Skills Training) weitgehend wieder aufgenommen. Erfahrungen mit online-basierten Lehrformaten entwickeln sich rasant, und heute können die meisten klinischen Lehrveranstaltungen in einem Hybridformat stattfinden (z. Beisp. die Vorbereitung auf Präsenz-Praktika im Clinical Skills kann erleichtert werden, wenn sich die Studierenden mithilfe von online Demonstrations-Videos auf das Training vorbereiten). Andere klinische Fächer wiederum werden komplett online gelehrt (viele Veranstaltungen zum Kommunikationstraining an der medizinischen Fakultät in Bern werden z. Beisp. komplett via Zoom organisiert). Bestimmte Lehrveranstaltungen hingegen werden weiterhin ausschliesslich auf traditionelle Art und Weise durchgeführt (wie z. Beisp. die im Rotationsprinzip durchgeführten klinischen Praktika („clinical internship rotations“) in Bern; Dabei handelt es sich um, zumeist 4-wöchige Blockpraktika, die im Laufe eines Jahres in verschiedenen Kliniken und Fachrichtungen zu absolvieren sind).

Institutionen, die bereits über online-Lernmaterialien und -formate verfügten, konnten bestimmte Lehrveranstaltungen sofort mithilfe dieser vorhandenen online-Ressourcen überbrücken ([5], siehe auch die untenstehenden Links). Allerdings wird es in Zukunft erforderlich sein, eine Vielzahl verschiedener online-Lernmaterialien und online-Lernformate zu erstellen. Das IML setzt seine Forschungsarbeit fort, um evidenzbasierte Prinzipien für die digital unterstützte medizinische Lehre zu etablieren (siehe auch untenstehenden Links).

Vorhandene Rahmenbedingungen. Die gute Nachricht kommt zuerst: Die theoretischen Rahmenbedingungen und die Methoden für online-Lehre und online-Lernen sind bereits gut beschrieben und existieren seit Jahrzehnten: Methoden wie „Flipped Classroom“ oder „Inverted Classroom“ (d.h. Kombinationen aus online- und Präsenz-Lehr- und -Lernmethoden) sind den Lehrenden bekannt und werden hier noch einmal auf vereinfachte Art und Weise zusammengefasst. Ein allgemeineres Konzept ist das „Blended Learning“ (d. h. eine Kombination aus online- und Präsenz-Lehr- und -Lernmethoden); dieses wird hier noch einmal auf vereinfachte Art und Weise zusammengefasst. 

Vor der Pandemie war die medizinische Lehre tief in der traditionellen Lehrmethodik verwurzelt. Solange die Haupterfahrungen der Dozierenden mit der traditionellen Lehrmethodik verknüpft sind, wird es schwer sein, Veränderungen auf den Weg zu bringen. In dieser Hinsicht war und ist die Pandemie eine Chance, da sie uns Veränderungen und neue Ansätze aufzwingt. Nun müssen wir aktiv daran arbeiten, diese neue Normalität weiterzuentwickeln, anstatt wieder in die traditionellen Lehre zurückzukehren, sobald es die Pandemie erlaubt.

Wir fördern diesbezüglich einen moderaten Ansatz: Exzellente Lernmaterialien, die das individuelle Lernen unterstützen, sollten online zur Verfügung werden. Präsenz-Lehre und -Lernen dienen der Festigung und Vertiefung von Wissen und dem Training entsprechender Fertigkeiten. Das Lernen am „realen“ Patienten und der Erwerb praktischer Fertigkeiten können schliesslich niemals allein durch Modelle oder Simulationen ersetzt werden. Auch relevant, praktische Interaktionen und Fertigkeiten beim Umgang mit Patientinnen und Patienten lassen sich durchaus mithilfe adäquater online-Materialien verbessern [6].

Referenzen
Guttormsen, S.(2020). Die Bedeutung von Präsenz in der medizinischen Lehre: Erfahrung und Forschung Hand in Hand. In Tremp, Peter; Stanisavljevic, Marija: (Digitale) Präsenz - Ein Rundumblick auf das soziale Phänomen Lehre (Invited paper). DOI: 10.5281/zenodo.4291793, 49 – 53.
Gogollari, A. and Guttormsen, S., (in preparation): Swiss medical schools’ experiences with online teaching in the Corona spring Semester 2020. The view of the curriculum managers. 2020.
The Cambridge Handbook of Multimedia Learning. 2 ed. Cambridge Handbooks in Psychology. 2014, Cambridge: Cambridge University Press.
28. (EMSA), European Medical Students’ Association, Institutional Report for COVID-19 Impact on Medical Education. 2020 https://medisep.org/mediblog-blog10.
Bauer D.; Brem B.; Guttormsen S.; Woermann U.; Schnabel K. (2020). How COVID-19 accelerated the digitization of teaching in the medical program at the university of Bern. VSH / AEU Bulletin, Vereinigung der Schweizerischen Hochschulen, 46, 3/4, ISSN 166- 9898
Bauer, D., Lahner, F.-M., Huwendiek, S., Schmitz, F.M., Guttormsen, S. (2020). An overview and approach to selecting appropriate patientrepresentations in teaching and summative assessment in medical education. Swiss Med Wkly. 2020;150: w20382. DOI: https://doi.org/10.4414/smw.2020.20382