In einem der neuen Projekte untersuchen wir, welche Bedürfnisse und Anforderungen zentrale Stakeholder in der digitalen Lehre haben und wie diese optimal aufeinander abgestimmt werden können. Im anderen Projekt analysieren wir wie Lehre für anspruchsvolle Aufgaben stressreduzierend wirken kann, wenn Studierende gezielt auf solche Aufgaben vorbereitet werden.  

Auch in der Lehre, obwohl nicht immer anerkannt, müsste Forschung jeden Fortschritt begleiten. Begleitende Forschung macht praktische Lehre erst nachhaltig, und prüft Innovationen und Trends auf Wirksamkeit. Dabei soll auch die notwendige Evidenz erbracht werden, um Ressourcen für innovative Lehre sinnvoll einzusetzen. Lehre muss auf solider Forschung und objektivem Wissen abgestützt sein, denn erst dann kann sie auch als gut bezeichnet werden. Gerade in der Medizin, wo evidenzbasiertes Handeln im klinischen Alltag ein sine qua non ist, sollte eigentlich auch evidenzbasierte Lehre nicht so einen schweren Stand haben – wie sie es manchmal hat. Liegt es an der Komplexität der Kontexte, in denen Lehre stattfindet? In der Medizin müssen neben optimaler Lehre für den klassischen Wissenserwerb auch eine Vielzahl praktischer Fertigkeiten und sozialer Fähigkeiten erworben werden. Der Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis muss in einem komplexen System zwischen universitärer traditioneller Lehre und Teaching im klinischen Alltag gelingen. Das ist und bleibt herausfordernd! Dabei scheint, dass die Evidenz über die Wirkungsmechanismen die Lehrenden nicht immer erreicht. Oder liegt es an der mangelnden Zeit der einzelnen Lehrkräfte, sich mit Neuem zu befassen oder erfahren sie nur mangelnde Unterstützung? Es ist ein Ziel unserer Forschung zur Lehre, dass diese innovativ, bedarfsorientiert und praxisnahe umsetzbar ist. Wie setzen wir diese hohen Ziele in den zwei neuen Projekten um?

Digital Learning and Teaching

Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig gute digitale Lehre ist. Viele digitale Lehrangebote haben Schwächen, oft kommen die Bedürfnisse der Lehrenden und Studierenden zu kurz. Dieses Projekt setzt bei der Umsetzung digitaler Lehre an, um notwendige Entwicklung besser zu unterstützten. Es ist beispielhaft in der medizinischen Lehre verankert, ist aber generell für die Hochschullehre relevant.
Wir bezwecken die aktuellen Bedürfnisse besser zu verstehen und gezielt Lösungen zu erforschen.
- Die erste Teilstudie untersucht akademische Lehre als Zusammenspiel zwischen Organisation, Lehrenden und Studierenden. Nur wenn diese drei Entitäten optimal aufeinander abgestimmt sind, entsteht gute digitale Lehre. Wir müssen sowohl die Bedürfnisse als auch förderliche und behindernde Faktoren besser verstehen.
- In der zweiten Teilstudie fragen wir, wie gefühlte Nähe und Kommunikation erlebt werden, wenn Gespräche in Videokonferenz geführt werden? In der Medizin und anderen Kontexten praxis-orientierter Lehre war und ist die Pandemie besonders einschneidend. Kommunikationstrainings sind hier ein Beispiel für essentiellen Unterricht, um gute Kommunikation mit Patient*innen zu üben.
- In der dritten Teilstudie stehen die Bedürfnisse der Studierenden im Zentrum: Wie können sie unterstützt werden, selbständig und effektiv zu lernen? Wenn spontane Kontakte unter Studierenden und Lehrkräften fehlen, sind Studierende besonders leidtragend. Digitale Lehre bedeutet aber auch, dass Studierende selbständiger lernen müssen. In dieser Studie erforschen wir, wie Studierende hierbei gezielt unterstützt werden können.
Die drei Teil-Studien suchen Antworten auf Fragen, die während der Pandemie besonders dringend wurden. Mittel hierzu sind zielgruppen-orientierte Interviews und Umfragen sowie kontrollierte Studien zum Verständnis, was die Zielgruppen benötigen, wie Videokommunikation erlebt wird, und auch wie Studierende effektiv selber lernen können.

Überbringen schlechter Nachrichten – Optimierung der Stressreaktion und Kommunikationsleistung bei Medizinstudierenden

Ärzt*innen müssen bei ihrer klinischen Tätigkeit mitunter emotional belastende Aufgaben bewältigen. Das Überbringen schlechter Nachrichten (z. B. Mitteilen einer schwerwiegenden Diagnose) ist eine solche Aufgabe. Medizinstudierende üben diese herausfordernde Aufgabe heute bereits in Kommunikationstrainings mit Simulations-patient*innen. Die dabei erfahrene emotionale Belastung ist vergleichbar mit derjenigen in realen Situationen und kann zu verminderter Leistungsfähigkeit und somit zu schlechterer Arzt-Patienten-Kommunikation führen. Deshalb ist es wichtig, Medizinstudierenden Strategien zu vermitteln, die ihnen im Umgang mit der belastenden Kommunikationsaufgabe helfen können. Ein vielversprechender Ansatz ist die «Neubewertung der körpereigenen Belastungsreaktion» (stress arousal reappraisal): Die Stressreaktion wird hierzu als «normal» und sogar «vorteilhaft» für die Aufgabenerfüllung uminter-pretiert. Eine erfolgreiche inhaltliche Vorbereitung auf die Kommunikations-aufgabe könnte einer verminderten Belastungsreaktion ebenfalls zuträglich sein. «Vorbereitende Lern-sequenzen mit Schritt-für-Schritt Demonstration» (worked-examples) bieten sich hier an.
Mit dieser Studie soll untersucht werden, inwiefern die Strategien «Neubewertung der körpereigenen Belastungsreaktion» und «Vorbereitende Lernsequenz mit Schritt-für-Schritt Demonstration» die Stressreaktion bei Medizinstudierenden beim Überbringen schlechter Nachrichten beeinflussen. Zu diesem Zweck werden 200 Medizinstudierende verschiedener Schweizer Universitäten mit der Aufgabe konfrontiert, Simulations-
patient*innen eine schwerwiegende Diagnose mitzuteilen. Dabei werden Kreislaufaktivität, Stresshormonausschüttung und subjektives Stressempfinden der Studierenden erfasst. Der Einfluss auf die Kommunikationsleistung der Studierenden wird ebenfalls ermittelt.
Sofern sich die beiden Strategien beim Überbringen schlechter Nachrichten als hilfreich im Umgang mit stressbedingten Reaktionen erweisen, könnten sie flächendeckend im Medizinstudium eingesetzt werden. Zudem wäre es prüfenswert, deren Nutzen für anderweitige emotional belastende, klinische Aufgaben zu untersuchen. Letztlich könnten so die Kommunikationskompetenz und der optimierte Umgang mit Stressreaktionen angehender Ärzt*innen gefördert werden.

Diese zwei Projekte zeigen exemplarisch auf, wie unsere Forschungsprojekte oft aufgegleist sind, und eine angewandte Umsetzung bezwecken. Was diese kurzen Projektbeschreibungen nur erahnen lassen, ist, wie methodisch aufwändig es ist, aus diesen exemplarischen Fragenstellungen zu wissenschaftlich abgesicherten Resultaten zu kommen. Für diese Aufgabe ist das IML gut aufgestellt. Wie auch in anderen Projekten arbeiten wir mit nationalen und internationalen Fachkräften zusammen, um das Vorhaben zu unterstützen.

Die Pandemie hat deutlich gezeigt, wie limitiert traditionelle Unterrichtsformen in einer Krise sein können. Die Forschung zeigt, dass eine Präsenzlehre kombiniert mit elektronischen Lehrmitteln, d. h. ein Miteinander von online und onsite Unterricht effektiv ist, also mehr hybride Formen (Blended Learning, Team-Based-teaching, Flipped classroom etc.). Konsequenterweise zieht dies neue Überlegungen zur ganzen Lehr-Landschaft, wie auch der Lehr-Bewertung nach sich. Denn heute werden klassische Vorlesungen immer noch mehr gewichtet als gute interaktive Kurse. Das ist nicht mehr up-to date.

Das Ziel muss es sein, kompetente und selbständige Studierende auszubilden, aktives Lernen zu fördern, Selbstverantwortung zu erhöhen und Freiräume für das Selbststudium zu schaffen - alles im Zusammenhang mit einer wohl überlegten Triage zwischen onsite und online Trainings. Dafür braucht es inhaltlich und methodische Anpassungen in der Lehre, wie auch die notwendige Unterstützung aller Akteur*innen. Durch Forschungs- und Entwicklungsprojekte entstehen konkrete Konzepte und Strategien für eine auf Evidenz basierende, effektive und digital unterstützte medizinische- und  Hochschullehre.

Ausgewählte aktuelle Publikationen zur Lehrforschung 

  • Guttormsen, S.; Schnabel, K [Hrsg.]. (2021). DocCom.Deutsch. Die Lernplattform für Kommunikation im Gesundheitswesen. Bern: Institut für Medizinische Lehre. https://doccom.iml.unibe.ch
  • Mitchell, S.; Jaccard, E.; Cardineaux, R.; Collombet, P.; Cornuz, J.; Waeber, G.; Guessous, I.; Guttormsen, S. (2020). Implementing an Online Training Programme in Precision Medicine for Primary Care Professionals: a Multi-Method Approach. In: Sampson, D. G.; Ifenthaler, D.; Isaías, P. (Hrsg.) Proceedings of 17th International Conference on Cognition and Exploratory Learning in the Digital Age (pp. 359-364). Lisbon: IADIS Press.
  • Berger-Estilita, J. M.; Greif, R.; Berendonk, C.; Stricker, D.; Schnabel, K. P. (2020). Simulated patient-based teaching of medical students improves pre-anaesthetic assessment: A rater-blinded randomised controlled trial. European journal of anaesthesiology, 37(5): 387-393.  10.1097/EJA.0000000000001139
  • Krings, R.; Huwendiek, S.; Walsh, N.; Stricker, D.; Berendonk, C. (2020). Predictive power of high school educational attainment and the medical aptitude test for performance during the Bachelor program in human medicine at the University of Bern: a cohort study. Swiss Med Wkly, 150:w20389. 10.4414/smw.2020.20389
  • Schmitz, F.M., Schnabel, K. P., Bauer, D., Woermann, U., Guttormsen, S. (2020). Learning how to break bad news from worked examples: Does the presentation format matter when hints are embedded? Results from randomised and blinded field trials, Pat Educ Couns, 103(9):1850-1855. https://doi.org/10.1016/j.pec.2020.03.022
  • Bauer, D.; Brem, B.; Guttormsen, S.; Woermann, U.; Schnabel, K. (2020). How Covid-19 accelerated the Digitization of Teaching in the Medical Program at the University of Bern. Bulletin VSH-AEU, 46(3/4):3-8. https://boris.unibe.ch/146586/
  • Guttormsen, S. (2020). Die Bedeutung von Präsenz in der medizinischen Lehre: Erfahrung und Forschung Hand in Hand. In: Stanisavljevic, M.; Tremp, P. (Hrsg.) (Digitale) Präsenz - Ein Rundumblick auf das soziale Phänomen Lehre (pp. 49-53). Pädagogische Hochschule Luzern, https://boris.unibe.ch/149835/
  • Bauer, D., Lahner, F.-M., Huwendiek, S., Schmitz, F.M., Guttormsen, S. (2020). An overview and approach to selecting appropriate patient representations in teaching and summative assessment in medical education. Swiss Med Wkly. 2020;150:w20382. https://doi.org/10.4414/smw.2020.20382